wenn ich etwas zu meiner kunst sagen sollte

     am liebsten wäre sie mir als garten

     manches in den schatten

     manches in die sonne rückend

     aus meiner verfügbarkeit entwachsend

     angewiesen auf das darüberhinausliegende



     in einem garten kann man sich frei bewegen

     darin herumtoben

     zerstören

     sich lieben

     altes laub zusammenfegen

                       ein garten ist lange zeit





    






texte
                                             

Burkhard Schlothauer
MUSIK - ZEIT - LEBEN - RAUM (ausschnitt) >

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Rede von Klaus Sebastian anlässlich der Ausstellungs-
eröffnung"BRENNHOLZ" von Marcus Kaiser im Kunstort
Bunkerkirche in Düsseldorf am 6.Oktober 2006 >

 
marcus kaiser - feindtönung - opernfraktal  (2014) >

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Burkhard Schlothauer

MUSIK - ZEIT - LEBEN - RAUM
(in gekürzter Form erschienen in Positionen 2006)
 

‚Klangraum’ im ‚Kunstraum Düsseldorf’


‚Klangraum’ ist das Musikveranstaltungsprogramm von Antoine Beuger im ‚Kunstraum Düsseldorf’. Diese städtische Galerie ist im Erdgeschoß der ehemaligen Maschinenfabrik ‚Jagenberg’ in der Himmelgeister Straße ansässig, einem weiß gekachelten vierstöckigen Fabrikgebäude aus der Gründerzeit, das heute Ateliers und Künstlerwohnungen, ein Cafe, einen Veranstaltungsort für Jazzkonzerte (Alte Schmiede) und verschiedene Ämter beherbergt. Kunstraum, ein L-förmiger, etwa 5 m hoher Raum, ca. 400 m² groß. Loftatmosphäre, weiße Wände, grauer Zementboden, wenig Wand, der Raum wird durch Fenster dominiert, große bodentiefe zum Hof und kleinere zum rückwärtigen Außenraum, wodurch sich eine offene und transparente Atmosphäre ergibt - auch die Geräusche der hinter dem Gebäude spielenden Kinder und des allgegenwärtigen Straßenverkehrs sind zu hören. Ein metamorphosierter Raum, gewandelt von einer Produktionshalle - einem Arbeits- und Zweckraum, gefüllt mit Maschinen und Menschen, aus dem die Laute des Arbeitens nach außen dringen - zum leeren Raum für die Kunst, zu einem Raum in dem das Außen klingt, der von Außen einzusehen, offen und durchlässig ist. Keineswegs ein ‚idealer’ Raum, weder für Konzerte noch für bildende Kunst. Ein klarer einfacher Raum, akustisch einer kleineren Kirche vergleichbar. Ein schöner schlichter Ort, der aufgrund seines Grundrisses und seiner akustischen Gegebenheiten spezielle Anforderungen an die Veranstalter und Aussteller stellt, der als Ort Berücksichtigung fordert, in die Konzeption eines Ereignisses einbezogen werden muss, eben der Ort, an dem sich mit dem ‚Klangraum’ eine Kultur der Besinnung und des Innehaltens präsentiert.

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Ausstellungsperformance


Am I really here or is it only art?[1]
Der Maler, Installations- und Performancekünstler, Cellist und Komponist Marcus Kaiser (*1967) veranstaltete von 3.8.2003 bis zum 23.8.2003 sein ‚OPERNFRAKTAL 21 TAGE’ im Kunstraum. Kaiser, dessen gesamtes Oeuvre eine komplizierte und tiefsinnige Verschränkung der verschiedenen Kunstgattungen, in denen er zu Hause ist, darstellt, und dessen Lebensort auch Atelier und Veranstaltungsraum für die von ihm initiierte Reihe ‚Kaiserwellen’ ist,  nannte viele seiner früheren akustischen Arbeiten, ‚Klanginstallation mit Instrumenten’. Häufig spielt bei diesen Ereignissen die Tonaufnahme einer festgelegten musikalischen Aktion eine Rolle, die dann bei späteren Wiederholungen der musikalischen Aktion am selben Ort, oder je nach Konzept auch einem anderen, wieder eingespielt und erneut in Kombination mit der gegenwärtigen Aktion aufgenommen wird. Es öffnet sich somit ein mehrdimensionaler Zeitraum im Klangraum, das was gestern, vorgestern war, hat seine Spuren hinterlassen und wird im Jetzt verknüpft und erinnert, umso schemenhafter, je weiter es zurückliegt. Der klingende Raum, die Aufnahme und Abspieltechnik verändern, filtern, verrauschen und fügen zusammen, erzeugen eine Projektion der Orte und Zeiten des Geschehens in einer eigenartig diskontinuierlich kreisenden Weise.

Da die Projektbeschreibung von ‚OPERNFRAKTAL 21 TAGE’ sehr klar formuliert und aussagekräftig ist, möchte ich sie hier weitgehend unverändert wiedergeben:

„Im gegebenen Zeitraum wird dieser Ort von vier Personen bewohnt, die gegebene Aufgaben übernehmen (Zeichner / Computer-Tontechniker / Instrumentalist / Koch / Sprecher...) und auch ihren privaten Tätigkeiten nachgehen.
Von den konkreten Klängen des Ortes, der Umgebung und der Menschen wird alle 5 Minuten 1 Minute aufgezeichnet und am nächsten Tag zur selben Zeit wieder abgespielt (und wieder aufgezeichnet...). So entsteht im Laufe der Zeit eine computergesteuerte wuchernde Klangmassierung (abgewechselt mit Stille), die sich mit den real vorhandenen Klängen vermischt, bzw. sich ihnen anschmiegt. Jeden Tag gibt es zu bestimmten Zeiten (6 Uhr / 12 Uhr / 18 Uhr / 24 Uhr) instrumentale bzw. mit der Stimme artikulierte Zwischenspiele (als "Konzert im Konzert"), die sich zunehmend in die durchgehende Struktur der konkreten Klänge einweben. So entsteht nach und nach eine "Oper", die keine Oper ist, eine nichtinszenierte Inszenierung, eine reale Situation, die nicht realistisch ist, ein Vivarium.
"OPERNFRAKTAL" ist ein Zustand eingebunden in Architektur/Installation und Tätigkeit/Handlung und Klang/Dauer im Sinne von "Chronotektur"; wie ein Aquarium ausschnitthaft ungenügend ein Stück Amazonas oder ein Stück Tanganjikasee nachbildet und den Fischen einen wirklichen Lebensraum bietet. Ausgehend von einigen Grundelementen ist die Situation offen und kann sich verschiedenen Gegebenheiten anpassen...“

Im einrichtungsfreien Kunstraum markierten vier offene ‚Metallwinkelkuben’ mit den Maßen 1,50*2,80*1,50 die vier Funktionsräume: ‚Küche/Bar’, ‚Kommunikation/ Modell’ (in diesem Quader befand sich ein auf die Aktion bezogenes Architekturmodell), ‚Elektronik/ Arbeit’. Im vierten, ‚Intuition/Klang’ genannt, nahm der Instrumentalist zur Durchführung der alle sechs Stunden stattfindenden Konzerte Platz. Zusätzlich gab es noch zwei Holzboxen von 2m*2m*2m aus OSB- Platten als nicht einsehbare Schlafwürfel und zwei große Zeichnungen im selben Maß, wie die Frontflächen der Aktionsquader (1,50*2,80), die ganzflächig wuchernde Urwaldvegetation zeigten.
Aus Holz speziell angefertigte Fotoboxen im Format DIN A4 waren zur Anfang der Aktion als Leergut skulptural übereinander gestapelt, wurden Tag für Tag mit den abgezogenen Digitalfotos des vorherigen Tages gefüllt und dann auf dem Boden zur Ansicht aufgestellt, überwucherten also den Boden mehr und mehr. In Marcus Kaisers Kunstauffassung spielt die Verschränkung von Zeit und Raum, für die er den Begriff „Chronotektur“ geschaffen hat, eine bedeutende Rolle. Normale Musik versuche, so Kaiser, Zeit zu eliminieren und Langeweile als Bewusstwerdung vom Vergehen der Zeit zu vermeiden. Chronotektur versuche hingegen Zeit und Raum ineinander greifend zu gestalten. Bilder würden eher Zeit repräsentieren als Musik, Musik sei im Normalfall eher statisch und bewegungslos wahrzunehmen, das Ohr ein passives Organ, das Auge im Gegensatz dazu wesentlich freier und beweglicher, es wandere über das Bild, es nehme sich selbst bewegend, somit Zeit verbrauchend wahr.

21 Tage lebten, arbeiteten und performten die vier Mitwirkenden im Kunstraum, die Grenzen ihrer Tätigkeiten verflossen; ihre Anwesenheit war nicht verpflichtend, immer aber war mindestens einer der Akteure anwesend. Zum Leben, Essen und zur Übernachtung im ‚Vivarium’ war das Publikum ebenfalls eingeladen. Kaiser geht es nach eigener Aussage darum, Alltäglichkeiten wie z.B. Nahrungsaufnahme und Ruhen, nicht aus dem Kunstereignis herauszudrängen. Durch die Vorgabe der Gesamtzeit der Performance war dies zwangsläufig gewährleistet, denn bei einem Event dieser Dauer muss das physische Leben und die auftretenden Probleme des Miteinanderlebens im Sinne einer kompositorischen Konzeption voll integriert sein. Denn im Gegensatz zum Konzertritual, indem der Künstler durch schwarze Einheitskleidung und Podiumsstellung entprivatisiert wird, bleibt jeder Teilnehmer des Opernfraktals in seiner personalen und physischen Beschaffenheit vollumfänglich wahrnehmbar - die Grenzen des Alltäglichen zur Kunst ist Dauerthema. „Die Binnenstruktur des Stückes ist für mich weniger interessant, als seine Peripherstruktur; ich reflektiere eher über ihre Zusammenhänge, wobei ich nicht sicher bin, ob es überhaupt einen Zusammenhang gibt.“

Durch Ritualisierung des Tagesablaufes mit Hilfe der regelmäßig stattfindenden Konzerte brach sich die immer wieder entstehende Alltagssituation und ließ die Künstlichkeit der Situation bewusst werden. Im übrigen diente diese Symmetrie aber auch der Beobachtung von Zeiterfahrung: die jeweils beinahe gleichen Zeitabschnitte von jeweils etwa 6 Stunden zwischen den Konzerten wurden von den Akteuren je nach Tageszeit und vorgenommener Aktivität vollkommen unterschiedlich wahrgenommen.
 


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[1] Laurie Anderson, zitiert nach Charles, Daniel,  S.25



 

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Rede von Klaus Sebastian anlässlich der Ausstellungseröffnung "BRENNHOLZ" von Marcus Kaiser im Kunstort Bunkerkirche in Düsseldorf am 6.Oktober 2006 


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Marcus Kaiser ist ein Künstler, der sich unserer Welt mit unbefangener Neugier nährt, der das Gewohnte aus ungewohnter Perspektive unter die Lupe nimmt, der Vorgefundenes in seine Elemente zerlegt, um sich dann aus den Teilstücken eine eigene Welt zu erfinden.

Am Beispiel seiner merkwürdig durchleuchteten Weltkarten lässt sich diese Vorgehensweise recht gut veranschaulichen. Das orginale Kartenmaterial, das unseren Planeten ja eigentlich aus der Vogelperspektive abbildet - also von oben oder von außen - verwendet Marcus Kaiser als Ausgangsstoff für eine hintersinnige Wahrnehmungsverschiebung.
Wie sähe denn unsere Erde aus, wenn man sie eben nicht von außen, von oben oder vom Weltall aus darstellte, sondern sozusagen aus menschlicher Perspektive, ein wenig bescheidener, nämlich von unten.

Stellen Sie sich vor; Sie befänden sich in einem beleuchteten Globus und betrachteten die Erdoberfläche von dort aus. Die illuminierten Weltkarten, die wir hier in den Bunkerzellen vorfinden, kann man als Annäherung an ein derart gefühltes Wahrnehmungsbild mit menschlichem Maßstab begreifen.
in minuziöser Geduldsarbeit hat der Künstler das Kartenmaterial zerschnitten, zerlegt und wieder zusammengefügt. Es handelt sich hier also um ein analytisches Verfahren und um eine intellektuelle Spiegelung im wahrsten Sinne des Wortes. Intellekt - das bedeutet: Innewerden, Wahrnehmung, geistige Einsicht, In der Tat denkt Hier ein Künstler über Welt nach und überraschenderweise kommt er dann noch zu einem Ergebnis, das sich auch in sinnlicher Weise - als schöne, neue, ästhetische Weltabbildung sehen lassen kann.

Marcus Kaiser gefällt die Idee, das der Besucher seine künstlerischen Zellen wie künstliche Gärten durchwandert. Im Vorübergehen lassen sich die hier im Bunker entstandenen Erlebnisräume aber nicht wirklich erschließen.
Den Welten und künstlichen Gärten des Marcus Kaiser ist nähmlich stets ein verborgener Sinn eingepflanzt - ein Geheimnis, dem man sich nähern kann, das sich aber allein mit dem Intellekt nie bis ins Mark durchleuchten lässt.

Die vom Künstler selbst entworfenen und gebauten Karten-Regale, die an Schautafeln oder grosse Setzkästen erinnern und in ihrer Plexiglasästhetik Objektivität vorspiegeln, verwirren den Betrachter zunächst. Sie möchten unseren Blick weiten, uns die Augen öffnen, für eine andere  Sicht auf unsere funktionale, normierte, neuzeitliche Weltanschauung.
Weltanschauung im biologischen wie im geistigen Sinn.

Es kann nicht schaden - so scheint uns Kaiser zu erinnern - die reale Erfahrungswelt für ein paar Augenblicke zu verlassen, um sich versuchsweise dem Unbekannten auszusetzen, sich im Ungewissen wie in einem Labyrinth zu verirren.
Dabei hat der Künstler seine Weltkarten sogar mit Kompass-Hilfe in exakte Ost-West Richtung gebracht. In der Installation von Marcus Kaiser kann man also eine geographische und eine zeitliche Ausrichtung feststellen. Denn der Blick geht zun einen nach innen, zurück in die vergangenheit des Orts - und dann in Form von Projektionen und architektonischen Modellen hinaus in die Zukunft.

Die unterirdische Welt der Bunkerkirche erscheint da beinahe ideal - als Gegenraum zur Realität und als Raum für Gegenmodelle mit eigenständigen klimatischen Bedingungen.

Ausgesprochen passend zu diesem dringlichen Thema wird man in Kaisers Klimazellen an die Realität des Bunkers erinnert. Dessen Schutzräume waren oder sind Fluchtorte. Biotope in denen ein Überleben möglich sein könnte.
Der Künstler präsentiert uns die Zellen der Bunkerkirche so gesehen nicht als Erinnerungs- oder Schreckensräume, sondern er richtet den blick in die Zukunft, interpretiert den Ort als Überlebensraum. Ein Raum womöglich in welchem Natur nur noch als Projektion existiert. Sie haben hier unten vielleicht schon einige Projektionsflächen mit grünen Wäldern gesehen. Aus der Bunkerkirche mit ihrem Andachtsraum (Andacht, das bedeutet: "mit Hingabe an etwas denke") könnte so womöglich ein Raum zum Nachdenken werden, nicht zuletzt zum Nachdenken über die Zukunft unseres Planeten.

Heute kann man sich ja kaum noch vorstellen, dass in den Räumen vor etwas mehr als 60 Jahren über 2000 Menschen Platz fanden. Menschen die vor Bombenhagel flohen.

Die Frage, was an solchen Orten überlebensnotwendig wäre, würden Architekten, Heizungsbauer oder Lebensmitteltechniker mit ganz unterschiedlichen Lösungsvorschlägen beantworten. Der Künstler besinnt sich - und hier mag man eine Verwandtschaft zu Klaus Rinke, seinem Lehrer an der Kunstakademie, erblicken - er besinnt sich aufs Elementare. Zum Beispiel aufs Holzhacken und andere lebenserhaltende Tätigkeiten. Der Künstler als Prototyp des tätigen Menschen nimmt sein Schicksal selbst in die Hand, erschafft sich seine eigene sichtbare und geistige Welt.
Im Akt des Holzspaltens macht Kaiser zudem das analytische Prinzip des "Zerlegens" noch einmal anschaulich. Er greift Material als Teil der Welt auf und macht es verwertbar.

Ein wichtiger Aspekt dieser Arbeiten scheint mir, dass sie uns vor Augen führen, wie einseitig unsere erlernten und normierten Wahrnehmungsweisen in Wirklichkeit sind. Marcus Kaiser ist übrigens Linkshänder - das hat er mir im Gespräch verraten - und als Linkshänder musste er sich von Anfang an darin üben und sich daran gewöhnen, mit beiden händen gleich gut zu operieren.
So zeichnet er, wenn er auf Reisen ist, mit beiden Händen gleichzeitig, und zwar nicht in aller ruhr im Hotelzimmer, sondern in voller Fahrt: In der Pariser U-Bahn, im Taxi oder in einem rappelden Bus auf einer Fahrt durch Indien. Wie ein Seismograf Zeichnen beide Hände die Reise-Bewegung auf. Auch in diesen sensiblen Studien schlägt sich offensichtlich ein elementares Stück Welterfahrung nieder.

Einseitigkeit wird man einem beidhändig operierenden Künstler also gewiss nicht vorwerfen können. Kaiser hat dialektisch stets auch die andere Seite, die andere Sichtweise im Blickfeld. Zweispurig verliefen übrigens auch seine Studienjahre. Neben seinem Studium an der Kunstakademie schloss er an der Robert-Schumann-Musikhochschule hier in Düsseldorf auch noch ein Violoncellostudium ab. Seitdem arbeitet er als Bildhauer und als Musiker - oftmals interdisziplinär. Die Klänge, Stimmen und töne in dieser Ausstellung hat er alle selbst aufgenommen und eingespielt.

Meine Damen und Herren - wenn man Kunst und Wissenschaft miteinander vergleicht - und manche sehen ja die Kunst als Pendant zur Wissenschaft - so wird man feststellen, das die Wissenschaft immer Eindeutigkeit anstrebt. Die Kunst erlaubt und fordert aber Mehrdeutigkeit.
Auch wir als Besucher dieser erfrischend mehrdeutigen Ausstellung sind somit aufgefordert, offen zu sein für einen Dialog mit der Kunst. Um mit ein wenig analoger Phantasie wird jedermann hier zu einer eigenen Deutung kommen.







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marcus kaiser - feindtönung - opernfraktal  (2014)

 
Wenn man den Innenhof von Marcus Kaisers Atelier in Düsseldorf betritt, steht man unter grossen Baumfarnen und Palmen. In einem artifiziellen innerstädtischen Regenwald.

In der skulpturalen Präsenz, dem Wachstum, in der klimatischen Abhängigkeit, dem zeitlichen Entfalten, Verflochtensein und der Beziehung der einzelnen Pflanzen zum Ganzen zeigt sich vieles von Kaisers Sichtweise auf Welt und Kunst.
 
Marcus Kaiser (geboren in Tübingen und aufgewachsen am Rand der Schwäbischen Alb) hat in Düsseldorf Musik und Kunst studiert und in diesem weiten Feld bewegt sich sein Arbeiten.
Über lange Zeiträume (Jahre, Jahrzehnte) entstehen simultan verschieden Serien, Werkgruppen. Mal die Eine, dann wieder eine Andere mehr in Erscheinung, in den Vordergrund tretend, "als wären sie Teil einer riesigen rhizomatischen Assemblage*":

 - Klang, Videoarbeiten die sich über die Jahre Schicht für Schicht verdichten.("unterholz", "an einem ort - an einem anderen ort", "goldfischglas"...)

 - "Grosse Grüne Bilder", Urwaldzeichnungen die langsam den gesamten Bildraum füllen und dann Schicht um Schicht grünen bis nahe an die Sättigung, bis die Details wieder anfangen im Ganzen zu verschwinden.

 -  Zeichnungen auf Kontoauszügen ("Ich - trojanisch" seit 2001)

 -  Arbeiten bei denen sich Gegenstände des alltäglichen Lebens über sehr lange Zeiträume ansammeln ("ich/verwurstelung" (Teebeutel, seit 1989); "ich/ovovivipar (seit 1997,  Eierschalen).

 - "Parallel Bücher" (seit 1999 - Zeichnungen mit rechts und links, meist in Bewegung, auf Reisen, im Zug, Bus, Flugzeug....)
 - "der Rand der Tage" (morgens und abends, Aquarellfarbe auf Papier.)

 - "opernfraktalmodelle und -gärten".
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    Diese sehr unterschiedlichen "Schichten" gruppieren sich in grösseren Ausstellungen zu komplexen Gefügen. Biotopen, Chronotopen, Lebensrauminstallationen in denen der Künstler während der Ausstellung auch leben und arbeiten kann.
In diesen Ausstellungen entstehen Videos, Klangaufzeichnungen, Fotos, die in folgende Ausstellungen eingewoben werden und die zukünftige Konstellationen eröffnen, ihre eigene Geschichte erzeugen.
 

    In der Ausstellung "opernfraktal/feindtönung" (eine der fruchtbaren Sprachschöpfungen des Biologen Jakob von Uexkülls**) bewohnte Marcus Kaiser mit seinen Pflanzen eine der Hallen des ehemaligen Bahnbetriebswerks München-Thalkirchen.

    In der Mitte der dunklen und kalten Halle steht ein grosser, hell erleuchteter transparenter Kubus. Wie ein grüner Planet im Raum bildet er den (Über-)Lebensraum für Baumfarne und Hummeln und für den Künstler; - mseinsiedelei.

    Auf den ersten Blick eine Idylle, die bei näherer Betrachtung Risse bekommt:
Hummeln könnten in einem Baumfarnwald nicht leben, da sie die entwicklungsgeschichtlich jüngeren Blütenpflanzen mit Ihrem Nektar und Blütenstaub zum Überleben brauchen.
    Versteckt in den Pflanzen sind Mikrophone und Lautsprecher wie zur Überwachung: Alle 5 Minuten wird eine Minute aufgenommen und am nächsten Tag zur selben Zeit eingespielt (und wieder aufgenommen ..): Grosses Raster - wie der Pulsschlag eines riesigen wuchernden Organismus, der sich zunehmend verdichtet und in den Rückkopplungsschleifen anfängt zu übersteuern. (Und vielleicht hört man nachts aus dem Tierpark auf der gegenüberliegenden Isarseite die Löwen brüllen und die Wölfe heulen).
    Aus den grossen Baumfarnwäldern des Karbon ist die Kohle entstanden mit denen die Dampflocks der Isartalbahn von hier aus fuhren, als Teil einer Entwicklung, die uns heute das fürchten lehrt und unsere Umwelt mit ganz neuartiger Feindtönung auflädt.

    Und wie in einem Planetensystem um den Zentralkörper, quasi in seinem Schwerkraftfeld weitere Arbeiten:
    - Ein "opernfraktal modell" das formale Strukturen des grossen Kubus aufnimmt, weiterentwickelt und in eine andere Dimension überführt.
    - Ein langer Tisch mit Zeichnungen. "Ich - trojanisch" in denen 'naiv, holzschnittartig, animalisch' Zeichnungen auf Kontoauszügen von der Welt künden.
    - Eine grosse Videoprojektion. Video/Klangarbeit in der auch Elemente der Ausstellung, teilweise in anderem Kontext, auftauchen. Diese Arbeit wird sich im lauf der Ausstellung verändern indem aktuelles Material aus der Ausstellung, aus dem Umfeld der Ausstellung auftaucht bzw. in anderen Bezügen wieder auftaucht. (auch in Bezug auf die Arbeiten/Ausstellungen in München 2011 (heraklits kitchen) und 2008 (opernfraktal/überwinterung), die thematisch in enger Verbindung stehen).
    - Darüberhinaus wird Marcus Kaiser im münchner Stadtgebiet unterwegs sein um an den "Parallel - Büchern" weiterzuarbeiten.



*zitiert aus dem Artikel "Wandelweiser" von Michael Pisaro
in der Übersetzung von Antoine Beuger
http://www.wandelweiser.de/_texte/erstw-deutsch.html
**...Um mit einem anderen Begriff zu sprechen, der den vielen orginellen Sprachschöpfungen von Uexkülls entnommen ist: Die Nachtraubtiere verbreiten ebenso wie die Gespenster in unserer Umwelt "Feindtönungen".
zitiert aus dem Vorwort von Rudolf Bilz: Jakob von Uexküll  Theoretische Biologie (suhrkamp taschenbuch Seite XII)




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OPERNFRAKTAL
( t / x / y )

"opernfraktal" ist ein zustand/eine bewegung eingebunden in architektur/installation und tätigkeit/handlung und dauer/klang im sinne von CHRONOTEKTUR.
wie ein vivarium ausschnitthaft ungenügend ein stück tanganjikasee oder amazonasregenwald nachbildet und einen wirklichen lebensraum bietet.

ausgehend von einigen grundelementen ist der zustand offen und kann sich verschiedenen gegebenheiten anpassen, wie einer galerie/ausstellungssituation, dem öffentlichen raum oder extremsituationen wie einer installation im pantanal oder dem ruwenzorimassiv.

die situation ist immer eine belebte und erzeugt ihre eigene geschichte mit den dingen und den menschen. die einzelnen individuen übernehmen ihrem charakter und ihren fähigkeiten entsprechende aufgaben (der beobachter, die schöne frau...), gehen aber auch ihren eigenen tätigkeiten nach, die mit der zeit zu einer veränderung und verdichtung der situation führen.

die raum und zeitstruktur wird durch raster geordnet, die sich im konkreten hier und jetzt füllen und verdichten. rahmen und raumraster für die evokation der veränderung und für die verschiedenen lebens und tätigkeits bereiche; zeitraster als regelmäßige wiederholungsmuster über größere zeiträume und als zyklische aufnahme und wiedergabe muster.





erste konkretion


o p e r n f r a k t a l 2 1 t a g e
6° 46' 49,2" east 51° 11' 55,2" north

vom 3/8/2003 - 23/8/2003 wurde der kunstraum düsseldorf von In Sook Kim, Bernd Glaser, Frank Eickhoff und Marcus Kaiser bewohnt. sie übernahmen spezifische aufgaben (fotographie, computeranimierte zeichnung, programmierung/tontechnik, instrumentalmusik), gingen aber auch ihren eigenen tätigkeiten nach.

der raum war tag und nacht geöffnet und besucher konnten im rahmen der möglichkeiten dort essen und trinken, arbeiten und auch übernachten.

vier metallwinkel-kuben (je 150cm/150cm/280cm) waren für die verschiedenen tätigkeitsbereiche bestückt:
küche/bar - kommunikation/modell - elektronik/arbeit - intuition/klang.

die streng quadratische aufstellung wurde in einem architekturmodell, ausgehend von kuben derselben proportion, aufgenommen. mittels foto und computer wurden dort situationen der ausstellung inszeniert.

die während der ausstellung entstandenen fotos breiteten sich zunehmend in speziellen boxen auf dem boden aus.
für die nacht standen zwei schlafboxen (je 200cm/200cm/200cm) mit insgesamt vier doppelplätzen zur verfügung.

täglich gab es vier konzerte, alle 6 stunden:
um 0uhr (of1): 15 minuten cello und sinustongenerator
um 6uhr (of2): 30 minuten stimme und elektronik*
um 12uhr (of3): 30 minuten cello und elektronik*
um 18uhr (of4): 60 minuten cello und elektronik*

(*die konzerte wurden jeweils aufgezeichnet, teils einfach verändert, und am nächsten tag zum selben konzert zugespielt).

eine computergenerierte klanginstallation, die alle 5minuten eine minute aufzeichnet und am folgenden tag zur selben zeit wiedergibt führt zu verschiebung von klangmaterial in den einzelnen stücken infolge der nicht präzisen anfangszeiten der konzerte.

am 21tag nach dem letzten konzert wurden alle vier konzerte mit ihren jeweils 21 konkretionen collagenartig übereinandergelegt und sind als CD / DVD verfügbar.

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im kindergartenalter führte der weg zu meinen freunden an einem dichten wäldchen entlang. im frühen sommer ereignete sich dort etwas erstaunliches. der wenig benutzte bürgersteig war voll mit kleinen, fast schwarzen fleischigen tröpfchen und man musste aufpassen, keines zu zertreten. vor allem an der bordsteinkante tummelten sich auf strassenniveau massenweise die winzigen ärmchen und beinchen; der weg zurück ins feuchte gras und ins gebüsch abgeschnitten durch die hellgrauen, dunkel gesprenkelt in den himmel ragenden granitbordsteinblöcke. für ein kleines kind war es ein leichtes, durchs dichte gebüsch ins unterholz zu gelangen. im halbdunkel der vegetation gab es zwischen den jungen erdkröten - kaum einen fingernagel gross - auch einige junge grassfrösche. da ihre metamorphose von der kaulquappe zum frosch früher im jahr stattgefunden hatte waren sie ein gutes stück grösser und kräftiger und mit ihren längeren hinterbeinen wesentlich sprungkräftiger und schwerer zu fangen. der boden wurde immer feuchter und dann etwas matschig. ich sank aber nicht ein. und dann stand ich direkt am flachen wasser. das wilde gestrüpp über mir hängt kahl in den see im schatten der grossen bäume. das gegenüberliegende ufer verdeckt durch einen im sonnenlicht wuchernden schilfgürtel vor dem in den himmel ragenden grün.