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                 REHEARSING
                      SCHOENBERG  
                     
                     (2024 ongoing)  
                     
                      
                     rehearsing Arnold Schoenberg: 
                     "Concerto for Violoncello" (first movement)  
                     composed in 1932/33 after the  
                     "Concerto for Clavicembalo" composed in 1746  
                     by Georg Matthias Monn 
                     
                     mit Sätzen aus: 
                     Theodor W. Adorno - "Philosophie der neuen Musik" 
                     Thomas Mann - "Die Entstehung des Doktor Faustus" 
                     und Sätze von Arnold Schönberg 
                     
                    
              
                 rehearsing schoenberg (2024) 
                 4K video, stereo sound, 247' (stand 1/2024)  
                
             
            
              
                
                   
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                   rehearsing schoenberg (A) 80'16'' (full HD) 
                   | 
                   rehearsing schoenberg (B) 81'22'' (full
                        HD)  | 
                   rehearsing schoenberg (C) 85'22'' (full
                        HD)  | 
                   
                   | 
                 
              
             
            
               
                
                  
                     
                      rehearsing
                        schoenberg  
                         
                      
                      
                          »Ich kann Ihnen nur sagen, daß ich
                          unentwegt am Konzert von Monn arbeite - ich habe noch
                          nie ein so schwieriges Werk studiert und - um Ihnen
                          meine Bewunderung zu bezeugen - die Schwierigkeiten
                          sind so vielfältig, daß es zuviel gesagt
                          wäre, den Zeitpunkt festzulegen, wann das Werk
                          der Öffentlichkeit vorgestellt werden kann«
                          schrieb Pablo Casals in einem Brief an Arnold
                          Schönberg im Juli 1933.  
                        
                            
                        
                          Vor allem im ersten Satz* des Cellokonzerts nach
                          Matthias Georg Monns Clavicembalo- konzert scheint
                          Schönberg jegliche Redundanz im Solopart
                          vermeiden zu wollen. In unerbittlicher Weise reihen
                          sich Phrasen unterschiedlichster Spielweisen
                          höchster Virtuosität aneinander, wie in
                          einer Serialität technischer Schwierigkeiten. 
                        
                         
                        
                          Das vermeiden jeglicher Wiederholung steht in
                          seltsamer Unproportion in Bezug zur Praxis des
                          Übens. Der Gegensatz zwischen den
                          unzählbaren Wiederholungen bei der Erarbeitung
                            eines Stücks und der Einmaligkeit bei
                          der Aufführung
                            des Stücks erreicht seinen
                          Höhepunkt. 
                        
                         
                        
                          „rehearsing
                            schoenberg“ nimmt diesen Prozess als
                          Material. Bringt den Prozess aus dem Hintergrund
                          „ins Stück“. Das tägliche
                            Üben in seinem oszillieren zwischen
                          Strenge und Spiel, Penetranz und Stagnation,
                          Planerfüllung und Kontingenz. Der Prozess des
                          Identischwerdens mit sich selbst im Bild der beiden
                          aus der Folge der Zeit geschnittenen
                          Körperhälften, die mit der zusammengesetzten
                          neuen Einheit ringen. Das Modell klassischen
                            Könnens als maximale (Selbst)
                          Überwachung. 
                        
                         
                        
                         
                        
                         
                        
                          *der 3. Satz ist in dieser Hinsicht konventioneller
                          und Phrasen wiederholen sich auch in der Solostimme in
                          anderer Tonlage. Und im 2. Satz zeigt sich
                          Schönbergs Unbehagen am Ausweiden der
                          vorklassischen Vorlage in seiner Vorgabe „con
                          sordino“ (mit Dämpfer). Alles wird
                          Ungreifbarer, wie in einen feinen Nebel gehüllt
                          (ganz anders als Stawinsky in der etwa zeitgleich
                          entstandenen Suite
                            italienne). 
                         
                      
                         
                         
                      
                       Düsseldorf
                            2024 
                         
                      
                         
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                (Arnold Schönberg) 
             
            
              
                
                   
                    So ist es leicht, eine
                      "Weltanschauung" zu haben, wenn man nur das anschaut, was
                      angenehm ist, und das Übrige keines Blickes
                      würdigt. 
                       
                       
                      Ich hoffe, meine Schüler werden suchen! Weil sie
                      wissen werden, daß man nur sucht, um zu suchen. 
                       
                       
                      Unsere Zeit sucht vieles. Gefunden aber hat sie vor allem
                      etwas: den Komfort. 
                       
                       
                      Und eine in ehrlichem Suchen gefundene Irrlehre steht noch
                      immer höher als die beschauliche Sicherheit dessen,
                      der sich gegen sie wehrt, weil er zu wissen vermeint - zu
                      wissen, ohne selbst gesucht zu haben!  
                       
                       
                      Aber: immer wieder, immer wieder von vorne anfangend;
                      immer wieder von neuem selbst beobachtend und selbst zu
                      ordnen versuchend. 
                       
                       
                      Und das Verhängnisvollste: man glaubt einen
                      Maßstab zur Ermittlung des Kunstwerts auch
                      künftiger Kunstwerke gefunden zu haben. 
                       
                       
                      Denn nochmals: die Naturgesetze kennen keine Ausnahmen,
                      die Kunsttheorien besteht vor allem aus Ausnahmen. 
                       
                       
                      Die Musik soll nicht schmücken, sie soll wahr sein. 
                       
                       
                      Kunst kommt nicht vom Können sondern vom Müssen 
                       
                       
                      Man denkt nur um seines Gedankens willen. 
                      Und so kann Kunst nur um ihrer selbst willen geschaffen
                      werden.  
                       
                       
                      Ein Gedanke entsteht; er muß gebildet, gestaltet,
                      entwickelt, ausgearbeitet, durchgeführt und ganz zu
                      Ende gedacht werden. 
                       
                       
                      Denn es gibt nur »l’art pour
                      l’art«, Kunst allein um der Kunst willen. 
                       
                        
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              (Thomans Mann) 
            
              
                
                   
                      Mit Schoenberg, so hoch er ihn stellte, hielt er
                      persönlich nicht Umgang, - was sich wahrscheinlich
                      daraus erklärte, daß der Meister den kritischen
                      Einschlag in der Verehrung des Jüngers witterte. 
                       
                       
                      Ich wog Hubermanns Bogen in der Hand, der mir
                      überraschend schwer erschien. Walter lachte.
                      „Ja, die Leichtigkeit“, sagte er, "das ist er,
                      nicht der Bogen!" 
                       
                       
                      Ein Abend bei Adorno führte mich wieder mit Hanns
                      Eisler zusammen, und es gab eine Menge stimulierend
                      ‚zugehörigen’ Gesprächs: über
                      das schlechte Gewissen der homophonen Musik vor dem
                      Kontrapunkt, über Bach, den „Harmoniken“
                      (als welchen ihn Goethe bestimmt hatte), über
                      Beethovens Polyphonie, die nicht natürlich und
                      "schlechter" sei als die Mozarts. 
                       
                       
                      Als ob es auf das Gefallen überhaupt ankäme und
                      nicht vielmehr auf die Wirkung, die sich aus
                      Mißverständissen, Kontroversen, Peinlichkeiten
                      endlich denn doch herausklärt. 
                       
                       
                      Um was wäre es uns jemals zu tun, als unser
                      Äußerstes zu geben? Alle Kunst, die den Namen
                      verdient, zeugt von diesem Willen zum Letzten, dieser
                      Entschlossenheit, an die Grenze zu gehen, trägt das
                      Signum, die Wundmale des "utmost". 
                       
                       
                      War je einer, dem der Kobold des Hervorbringens im Nacken
                      saß, so ein vom Jahr- und Tag-Werk immer Versorgter,
                      Besessener, Präokkupierter - ein erfreulicher
                      Mitmensch? 
                       
                       
                      Dabei war der Gedanke an das Werk wie eine offene Wunde,
                      die nur, und sei es auch in liebevollster Absicht,
                      berührt zu werden braucht, um mich in meiner
                      Schwäche auf unvorhersehbare Weise zu
                      erschüttern. 
                       
                       
                      Bei den griechischen Poeten, heißt es da, habe der
                      Gott Jupiter niemals gesungen, noch die Zither geschlagen,
                      und Pallas habe die Flöte verflucht. 
                       
                       
                      Die Musik ist immer verdächtig gewesen, am tiefsten
                      denen, die sie am innigsten liebten, wie Nietzsche. - 
                       
                       
                      Es ist ja im ganzen ein wunderliches Aquarium von
                      Geschöpfen der Endzeit. 
                       
                       
                      Wie viele beschäftigende Vorkommnisse, politische und
                      persönliche, Erfahrungen der Lektüre,
                      gesellschaftliche Zwischenfälle und solche, die der
                      Posteingang mit sich bringt, spielen aber fortwährend
                      ins Hauptbetreiben, das laufende Werk hinein, dem ja immer
                      nur drei, vier beste, hermetisch abgesonderte Tagesstunden
                      eigentlich angehören! 
                       
                       
                      Hat das musikalische Genie überhaupt nichts mit
                      Humanität und‚ verbesserter Gesellschaft zu
                      tun? 
                       
                       
                      Er behauptete, er habe darin seine Krankheit und
                      ärztliche Behandlung samt ‚male nurse‘
                      und allem übrigen dargestellt. Übrigens sei die
                      Aufführung äußerst schwierig, ja fast
                      unmöglich, oder nur für drei Spieler von
                      Virtuosenrang möglich, dabei aber sehr Dankbar
                      vermöge außerordentlicher Klangwirkungen. 
                        
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              (Theodor W. Adorno) 
            
              
                
                   
                      Keine Kritik am Fortschritt
                        ist legitim, es wäre denn die, welche sein
                        reaktionäres Moment unter der herrschenden
                        Unfreiheit benennt und damit jeden Missbrauch im Dienst
                        des bestehenden unerbittlich ausschließt. 
                        
                       
                      "Der Mittelweg", heißt es im Vorwort Schönbergs
                      zu den Chorsatiren, "ist der einzige, der nicht nach Rom
                      führt." 
                       
                       
                      Die vorsätzlichen Stilkategorien bezahlen ihre
                      Zugänglichkeit damit, daß sie nicht selber die
                      Komplexion des Gebildes ausdrücken, sondern
                      unverbindlich diesseits der ästhetischen Gestalt
                      verbleiben. 
                       
                       
                      Jene Abwendung der modernen Malerei von der
                      Gegenständlichkeit, die dort den gleichen Bruch
                      bezeichnet wie hier Atonalität, war bestimmt von der
                      Defensive gegen die mechanisierte Kunstware, vorab die
                      Photographie. 
                       
                       
                      Es zeichnet ein musikalischer Typus sich ab, der, bei
                      unverzagter Prätention des Modernen und
                      Seriösen, durch kalkulierten Schwachsinn der
                      Massenkultur sich angleicht. 
                       
                       
                      Seitdem der kompositorische Prozeß einzig an der
                      eigenen Gestalt eines jeden Werkes, nicht an
                      stillschweigend akzeptierten, allgemeinen Forderungen sein
                      Maß hat, läßt sich nicht mehr ein
                      für allemal „lernen“, was gute oder
                      schlechte Musik sei. 
                       
                       
                      Wer urteilen will, muß den unauswechselbaren Fragen
                      und Antagonismen des individuellen Gebildes ins Auge
                      sehen, über die keine generelle Musiktheorie, keine
                      Musikgeschichte ihn unterrichtet. 
                       
                       
                      Musik hat an dem teil, was Clement Greenberg die
                      Aufspaltung aller Kunst in Kitsch und Avantgarde nannte,
                      und der Kitsch, das Diktat des Profits über die
                      Kultur hat deren gesellschaftlich reservierte
                      Sondersphäre längst sich unterworfen. 
                       
                       
                      Philosophie der Musik heute ist möglich nur als
                      Philosophie der neuen Musik. 
                       
                       
                      Fast möchte man die gebildeten Hörer für
                      die ärgsten halten, jene, die auf Schönberg mit
                      dem prompten „Das verstehe ich nicht“
                      ansprechen, einer Äußerung, deren
                      Bescheidenheit Wut als Kennerschaft rationalisiert. 
                       
                       
                      Heutzutage läuft das romantische Urmotiv auf die
                      Empfehlung heraus, durchs Vermeiden der Reflexion eben
                      jenen traditionell vorgegebenen Stoffen und Formkategorien
                      sich zu beugen, welche dahin sind. 
                       
                       
                      Die gesellschaftliche Isolierung, die von der Kunst aus
                      sich heraus nicht zu überwinden ist, wird zur
                      tödlichen Gefahr ihres eigenen Gelingens. 
                       
                       
                      Die Auflösung jegliches Vorgegebenen hat nicht in der
                      Möglichkeit resultiert, über alles an Stoff und
                      Technik nach Gutdünken zu verfügen - das
                      wähnt nur der ohnmächtige Synkretismus, und
                      selbst so großartige Konzeptionen wie Mahlers Achte
                      Symphonie sind an der Illusion solcher Möglichkeit
                      gescheitert - sondern er ist zum bloßen Exekutor der
                      eigenen Intention geworden, die ihm fremd, als
                      unerbittliche Anforderungen aus den Gebilden
                      entgegentreten, an denen er arbeitet. 
                       
                       
                      Jene Art Freiheit, die Hegel dem Komponisten zuschreibt
                      und die ihre äußerste Realisierung in Beethoven
                      fand, von dem er keine Notiz nahm, ist auf ein wie immer
                      auch Vorgegebenes notwendig bezogen, in dessen Rahmen eine
                      Vielfalt von Möglichkeiten offen liegt. 
                       
                       
                      Die Verwandlung der ausdruckstragenden Elemente von Musik
                      in Material, welche Schönberg zufolge durch die ganze
                      Geschichte von Musik hindurch unablässig statthat,
                      ist heute so radikal geworden, daß sie die
                      Möglichkeit von Ausdruck selber in Frage stellt. 
                       
                       
                      Es bleibt der avancierten Musik nichts übrig, als auf
                      ihrer Verhärtung zu bestehen, ohne Konzessionen an
                      jenes Menschliche, das sie, wo es noch lockend sein Wesen
                      treibt, als Maske der Unmenschlichkeit durchschaut. 
                       
                       
                      Von der Musik wie von allen Äußerungen des
                      objektiven Geistes wird heute die uralte Schuld
                      einkassiert, die in der Trennung des Geistes von der
                      Physis, seiner Arbeit von der der Hände gelegen war:
                      die Schuld des Privilegs. 
                       
                       
                      Denn noch die einsamste Rede des Künstlers lebt von
                      der Paradoxie, gerade vermöge ihrer Vereinsamung, des
                      Verzichts auf die eingeschliffene Kommunikation, zu den
                      Menschen zu reden. 
                       
                       
                      Kunst ist zum Erben hochspezialisierter handwerklicher
                      Verfahren geworden, als das Handwerk selber ganz durch die
                      Massenproduktion abgelöst war. 
                       
                        
                      Damit aber hat der Kenner, dessen kontemplatives
                      Verhältnis zur Kunst immer schon etwas von jenem
                      verdächtigen Geschmack einschloß, den Hegels
                      Ästhetik so gründlich durchschaute, auch sich
                      selber zur Unwahrheit entfaltet, komplementär zu der
                      des Laien, welcher von der Musik nur noch erwartet,
                      daß sie neben seinem Arbeitstag hinplätschere. 
                       
                       
                      Musik hat unterm Zwang der eigenen sachlichen Konsequenz
                      die Idee des runden Werkes kritisch aufgelöst und den
                      kollektiven Wirkungszusammenhang durchschnitten. 
                       
                       
                      Vorm versprengtesten Klang jedoch, der sich dem Netz der
                      organisierten Kultur und ihrer Konsumenten entzieht, wird
                      solche Kultur als Schwindel offenbar. 
                       
                       
                      Die einzigen Werke heute, die zählen, sind die,
                      welche keine Werke mehr sind. 
                       
                       
                      Die Verfahrungsweise der neuen Musik stellt in Frage, was
                      viele Fortschrittliche von ihr erwarten: in sich ruhende
                      Gebilde, die in den Opern- und Konzertmuseen ein für
                      allemal sich betrachten ließen. 
                       
                       
                      Die Annahme einer geschichtlichen Tendenz der
                      musikalischen Mittel widerspricht der herkömmlichen
                      Auffassung vom Material der Musik. 
                       
                       
                      Im Augenblick, da einem Akkord sein historischer Ausdruck
                      nicht mehr sich anhören läßt, verlangt er
                      bündig, daß seinen historischen Implikationen
                      Rechnung trage, was ihn umgibt. 
                       
                       
                      Die Forderungen, die vom Material ans Subjekt ergehen,
                      rühren vielmehr davon her, daß das
                      „Material“ selber sedimentierter Geist, ein
                      gesellschaftlich, durchs Bewusstsein von Menschen hindurch
                      Präformiertes ist. 
                       
                       
                      Nichts als solche Antworten, nichts als Auflösung
                      technischer Vexierbilder sind die Kompositionen, und der
                      Komponist ist einzig der, der sie zu lesen vermag und
                      seine eigene Musik versteht. 
                       
                       
                      Die Krankheit, welche die Idee des Werkes befallen hat,
                      mag von einem gesellschaftlichen Zustand herrühren,
                      der nichts vorgibt, was verbindlich und bestätigt
                      genug wäre, um die Harmonie des selbstgenügsamen
                      Werkes zu garantieren. 
                       
                       
                      Ein Schlag trifft Werk, Zeit und Schein. 
                       
                       
                      Wenn Musik vor anderen Künsten durch die Absenz des
                      Scheins, dadurch, daß sie kein Bild macht,
                      privilegiert ist, dann hat sie doch durch die
                      unermüdliche Aussöhnung ihrer spezifischen
                      Anliegen mit der Herrschaft der Konventionen am
                      Scheincharakter des bürgerlichen Kunstwerks nach
                      Kräften partizipiert. 
                       
                       
                      Wie sehr auch diese Musik gleichsam vegetabilischem Drang
                      ihren Ursprung verdankt, wie sehr auch gerade ihre
                      Unregelmäßigkeit organischen Formen sich
                      anähnelt, nirgends ist sie Totalität. 
                       
                       
                      Schönbergs Stücke sind die ersten, in welchen in
                      der Tat nichts anderes sein kann: sie sind Protokoll und
                      Konstruktion in einem. Nichts ist in ihnen von den
                      Konventionen übriggebliebene, welche die Freiheit des
                      Spiels garantierten. 
                       
                       
                      Mit der Negation von Schein und Spiel tendiert Musik zur
                      Erkenntnis. 
                       
                       
                      Alle Formen der Musik, nicht erst die des Expressionismus,
                      sind niedergeschlagene Inhalte. 
                       
                       
                      Was einmal Zuflucht suchte bei der Form, besteht namenlos
                      in deren Dauer. 
                       
                       
                      Die Formen der Kunst verzeichnen die Geschichte der
                      Menschheit gerechter als die Dokumente. 
                       
                       
                      Die "einsame Rede" spricht mehr aus von der
                      gesellschaftlichen Tendenz als die Kommunikative. 
                       
                       
                      Wie in der Wissenschaft stellt das Zitat Autorität
                      vor. 
                       
                       
                      Die Angst des Einsamen, der zitiert, sucht Halt beim
                      Geltenden. 
                       
                       
                      Man könnte die spätere Zwölftontechnik
                      recht wohl als System von Kontrasten, als Integration des
                      Unverbundenen definieren. 
                       
                       
                      Solange die Kunst die Distanz zum unmittelbaren Leben
                      innehält, vermag sie nicht, über den Schatten
                      ihrer Autonomie und Formimmanenz zu springen. 
                       
                       
                      Verhielt der Expressionismus gegen den Aberglauben ans
                      Organische sich nicht radikal genug, so hat dessen
                      Liquidation noch einmal die Idee des Werks
                      auskristallisiert; das expressionistische Erbe fällt
                      notwendig Werken zu. 
                       
                       
                      Musikantentum ist das geschickte Schalten mit einem
                      abgespaltenen Materialbereich an Stelle der konstruktiven
                      Konsequenz, die alle Materialschichten dem gleichen Gesetz
                      unterwirft. 
                       
                       
                      Der Übergang der musikalischen Organisation an die
                      autonome Subjektivität vollzieht sich vermöge
                      des technischen Prinzips der Durchführung. 
                       
                       
                      Die Durchführung erinnert sich der Variation. 
                       
                       
                      Es ist alles "dasselbe". Aber der Sinn dieser
                      Identität reflektiert sich als Nicht-Identität.
                      So geartet ist das Ausgangsmaterial, daß es
                      Festhalten zugleich es verändern heißt. 
                       
                       
                      "Ist" es doch gar nicht an sich, sondern nur im Hinblick
                      auf die Möglichkeit des Ganzen. 
                       
                       
                      Der zu früh wiederkehrende ebenso wie der "freie",
                      vorm Ganzen zufällige Ton wird tabuiert. 
                       
                        
                      Ein System der Naturbeherrschung in Musik resultiert. Es
                      entspricht einer Sehnsucht aus der bürgerlichen
                      Urzeit: was immer klingt, ordnend zu
                      „erfassen“, und das magische Wesen der Musik
                      in menschliche Vernunft aufzulösen.  
                       
                       
                      Die bewusste Verfügung übers Naturmaterial ist
                      beides: die Emanzipation des Menschen vom musikalischen
                      Naturzwang und die Unterwerfung der Natur unter
                      menschliche Zwecke.  
                       
                        
                      Es ist aber das unterdrückende Moment der
                      Naturbeherrschung, das umschlagend gegen die subjektive
                      Autonomie und Freiheit selber sich wendet, in deren Namen
                      die Naturbeherrschung vollzogen ward. 
                       
                       
                      Musik ist der Feind des Schicksals. Seit ältesten
                      Zeiten hat man ihr die Macht des Einspruchs gegen die
                      Mythologie zugeschrieben, im Bilde des Orpheus nicht
                      anders als in der chinesischen Musiklehre. 
                       
                        
                      Stimmigkeit als ein mathematisches Aufgehen setzt sich an
                      die Stelle dessen, was der traditionellen Kunst "Idee"
                      hieß und was freilich in der Spätromantik zur
                      Ideologie verkam, zur Behauptung metaphysischer
                      Substantialität durch stofflich krude Befassung der
                      Musik mit den letzten Dingen, ohne daß diese in der
                      reinen Gestalt des Gebildes gegenwärtig wären. 
                       
                       
                      Die Faktur als solche soll richtig sein anstatt sinnvoll. 
                       
                        
                      Naturbeherrschung aber und Schicksal sind nicht zu
                      trennen.  
                       
                        
                      Das Subjekt gebietet über die Musik durchs rationale
                      System, um selber dem rationalen System zu erliegen.  
                       
                        
                      Hat die Phantasie des Komponisten das Material dem
                      konstruktiven Willen ganz gefügig gemacht, so
                      lähmt das konstruktive Material die Fantasie.  
                       
                        
                      Der Wagnerische Satz von der Regel, die man selber stelle
                      und dann befolge, enthüllt seinen
                      verhängnisvollen Aspekt.  
                       
                        
                      Keine Regel erweist sich als repressiver denn die selbst
                      gestellt.  
                       
                        
                      Die Gewalt, die die Massenmusik den Menschen antut, lebt
                      fort am gesellschaftlichen Gegenpol, bei der Musik, die
                      den Menschen sich entzieht. 
                       
                        
                      Der Inhalt der Norm ist mit dem der spontanen Erfahrung
                      identisch.  
                       
                        
                      Die totale Rationalität der Musik ist ihre totale
                      Organisation.  
                       
                        
                      Durch Organisation möchte die befreite Musik das
                      verlorene Ganze, die verlorene Macht und Verbindlichkeit
                      Beethovens wiederherstellen.  
                       
                        
                      Das Mißlingen des technischen Kunstwerks aber ist
                      nicht bloß eines vor seinem ästhetischen Ideal,
                      sondern eines in Technik selber. 
                       
                        
                      Alle neue Sachlichkeit droht insgeheim dem zu verfallen,
                      was sie am grimmigsten befehdet: dem Ornament. 
                       
                       
                      Indem der Schein am Kunstwerk abstirbt, so wie es im Kampf
                      gegen das Ornament sich indiziert, beginnt der Standort
                      des Kunstwerks überhaupt unhaltbar zu werden.  
                       
                        
                      Alles, was keine Funktion hat am Kunstwerk - und damit
                      alles, was das Gesetz seines bloßen Daseins
                      übersteigt - wird ihm entzogen.  
                       
                       
                      Die Auflösung der Scheincharaktere am Kunstwerk wird
                      von dessen eigener Konsistenz gefordert. Aber der
                      Auflösungsprozeß, den der Sinn des Ganzen
                      befiehlt, macht das Ganze sinnlos.  
                       
                        
                      Das integrale Kunstwerk ist das absolut widersinnige.  
                       
                        
                      Die verfügende Disposition übers Ganze vertreibt
                      die Spontaneität der Momente. 
                       
                          
                      Schönberg hat darauf hingewiesen, daß die
                      traditionelle Kompositionslehre im Grunde nur Anfänge
                      und Schlüsse abhandele und niemals die Logik der
                      Fortsetzung.  
                       
                       
                      Wird der musikalische Nominalismus, die Abschaffung aller
                      wiederkehrenden Formeln zu Ende gedacht, so
                      überschlägt sich die Differenzierung.  
                       
                        
                      Daher erlaubte die traditionelle Musik weit subtilere
                      Nuancen, als wenn jedes musikalische Ereignis bloß
                      für sich selber steht.  
                       
                        
                      Verfeinerung wird am Ende mit Vergröberung bezahlt.  
                       
                        
                      Die Nuance endet in der Gewalttat - symptomatisch
                      vielleicht für die historischen Veränderungen,
                      die zwangsmäßig mit allen Kategorien der
                      Individuation heute sich zutragen.  
                       
                        
                      Das Gesetz der komplementären Harmonik impliziert
                      bereits das Ende der musikalischen Zeiterfahrung, wie es
                      in der Dissoziation der Zeit nach expressionistischen
                      Extremen angemeldet war.  
                       
                        
                      Die Reinigung vom Leittonwesen, das als tonales Residuum
                      in der freien Atonalität fortwirkte, führt zu
                      einer Beziehungslosigkeit und Starrheit der sukzessiven
                      Momente, die nicht nur als korrektive Kälte ins
                      Wagnerische expressive Treibhaus eindringt, sondern
                      darüber hinaus die Drohung der spezifisch
                      musikalischen Sinnlosigkeit, der Liquidation des
                      Zusammenhangs enthält.  
                       
                        
                      Es gibt kein anarchisches Zueinanderwollen der Klänge
                      mehr, bloß ihre monadische Beziehungslosigkeit und
                      die planende Herrschaft über alle. Daraus resultiert
                      erst recht der Zufall.  
                       
                        
                      Es steht nicht in der Macht des Komponierens, dass die
                      historischen Implikationen des Materials vergessen zu
                      lassen.  
                       
                        
                      Es ergibt sich ein funkelnd geschlossener Klang mit
                      unablässig wechselnden Lichtern und Schatten,
                      angeähnelt einer höchst komplizierten Maschine,
                      die in der schwindelnden Bewegung aller ihrer Teile auf
                      der Stelle verharrt.  
                       
                        
                      So deutlich, sauber und blank wird der Klang wie die
                      positivistische Logik.  
                       
                        
                      Das Traumprotokoll beruhigt sich zum Protokollsatz.  
                       
                        
                      In den polyphonen Verstößen Bachs und
                      Beethovens war mit verzweifelter Energie der Ausgleich von
                      Generalbaßchoral und echter Vielstimmigkeit, einer
                      zwischen subjektiver Dynamik und verbindlicher
                      Objektivität, angestrebt. 
                       
                        
                      Bei Bach gibt die Tonalität die Antwort auf die
                      Frage, wie Mehrstimmigkeit als harmonische möglich
                      sei. Darum ist Bach in der Tat, wofür Goethe ihn
                      hielt: Harmoniker. 
                       
                       
                      Das Anliegen des Kontrapunktes war nicht die gelungene und
                      ergänzende Addition von Stimmen, sondern die
                      Organisation von Musik derart, daß sie jeder in ihr
                      enthaltenen Stimme notwendig bedarf, und daß jede
                      Stimme, jede Note genau ihre Funktion in der Textur
                      erfüllt.  
                       
                       
                      Das Gewebe muss so konzipiert sein, daß das
                      Verhältnis der Stimmen zueinander den Verlauf des
                      ganzen Stückes, schließlich die Form erzeugt.  
                       
                        
                      Man könnte aber den Kontrapunkt selber gerade als
                      Ausdruck der Differenz der Dimensionen in der
                      abendländischen Musik auffassen.  
                       
                       
                      Man kann sich allenfalls vorstellen, daß das
                      Sonatenschema in freier Atonalität, nach Beseitigung
                      des modulatorischen Grundes der Korrespondenz, etwas von
                      diesem Sinn behält, wenn nämlich das Triebleben
                      der Klänge so kräftige Tendenzen und
                      Gegentendenzen entwickelt, daß die Idee des "Ziels"
                      sich behauptet, und daß der symmetrische
                      Repriseneinsatz seiner Idee Genüge tut.  
                       
                       
                      Bis heute hat die offizielle Musiktheorie sich nicht darum
                      bemüht, den Begriff der Fortsetzung als Formkategorie
                      zu präzisieren, obwohl ohne den Gegensatz von
                      "Ereignis" und Fortsetzung gerade die großen Formen
                      der traditionellen Musik, aber auch die
                      Schönbergischen, nicht verstanden werden können.
                       
                       
                       
                      An Tiefe, Maß und Eindringlichkeit der
                      Fortsetzungscharaktere haftet eine Qualität, die
                      über den Wert von Stücken und selbst über
                      den ganzer Formtypen entscheidet. 
                       
                       
                      Große Musik indiziert sich in dem Augenblick des
                      Verlaufs, wo ein Stück wirklich zur Komposition wird,
                      aus dem eigenen Gewicht ins Rollen kommt und das Dies-da
                      der thematischen Setzung, von der es ausgeht,
                      transzendiert.  
                       
                       
                      Alles bleibt beim alten, und die Zwölftontechnik
                      nähert sich der ziellos umschreibenden,
                      vor-Beethovenschen Gestalt der Variation, der Paraphrase.
                      Sie bringt die Tendenz der gesamten Geschichte der
                      europäischen Musik seit Haydn, wie sie mit der
                      gleichzeitigen deutschen Philosophie aufs engste
                      verschränkt ist, zum Stillstand. 
                       
                        
                      Aber es ist denkbar, daß die Unangemessenheit des
                      Ausdrucks, der Bruch zwischen ihm und der Konstruktion,
                      noch als Mangel der letzteren bestimmbar bleibt, als
                      Irrationalität der rationalen Technik. Um ihres
                      blinden Eigengesetzes willen versagt sie sich dem Ausdruck
                      und transponiert diesen ins Erinnerungsbild des
                      Vergangenen, wo er das Traumbild des Zukünftigen
                      meint.  
                       
                       
                      Der Komponist muß obendrein unermüdlich
                      Akrobatenkünste vollführen, um die
                      Prätention der selbstgemachten Sprache ins
                      Erträgliche zu mildern, die sich steigert, je besser
                      er sie spricht.  
                       
                       
                      Klappernde Wahnsysteme sind bereit, jeden zu verschlingen,
                      der arglos etwa die selbstgemachte Sprache als
                      bestätigte sich vorgeben wollte. 
                       
                        
                      Kein Künstler vermag es, von sich aus den Widerspruch
                      zu entfesselten Kunst zur gefesselten Gesellschaft
                      aufzuheben: alles, was er vermag, ist, durch entfesselte
                      Kunst der gefesselten Gesellschaft zu widersprechen, und
                      auch daran muß er fast verzweifeln. 
                       
                        
                      Sie sperren sich, nicht, weil sie das Neue nicht
                      verstünden, sondern weil sie es verstehen. 
                       
                       
                      Sie sind zu schwach, um sich mit dem Unerlaubten
                      einzulassen. 
                       
                        
                      Stolz auf die Entdeckung, daß das Interessante
                      langweilig zu werden beginnt, reden sie sich und anderen
                      ein, das Langweilige sei darum interessant. 
                       
                       
                      Es besteht keine Nachfrage mehr. 
                       
                       
                      Webern realisiert die Zwölftontechnik und komponiert
                      nicht mehr: Schweigen ist der Rest seiner Meisterschaft. 
                       
                       
                      In sonderbar infantilem musikalischem Naturglauben wird
                      das Material mit der Kraft begabt, von sich aus den
                      musikalischen Sinn zu setzen. 
                       
                       
                      Es ist die verbindlichste kritische Erfahrung, die den
                      bedeutenden Komponisten dem Kultus der reinen Proportionen
                      zutrieb. 
                       
                       
                      Die Möglichkeit von Musik selber ist ungewiß
                      geworden. 
                       
                        
                      "Das Kunstwerk", schrieb vor vierzig Jahren der
                      expressionistische Schönberg, "ist ein Labyrinth, an
                      dessen jedem Punkt der Kundige Ein- und Ausgang
                      weiß, ohne daß ihn ein roter Faden leitet." 
                       
                       
                      Mit andern Worten, aufs Überwintern ist nur zu
                      hoffen, wenn die Musik auch von der Zwölftontechnik
                      noch sich emanzipiert. Das aber nicht durch Rückfall
                      in die Irrationalität, die ihr vorausging und die in
                      jedem Augenblick heute von den Postulaten des strengen
                      Satzes durchkreuzt werden müßte, welche die
                      Zwölftontechnik ausgebildet hat, sondern dadurch,
                      daß die Zwölftontechnik vom freien Komponieren,
                      ihre Regeln von der Spontaneität des kritischen Ohrs
                      absorbiert werden.  
                       
                       
                      Was als Bereich ihrer Normen erscheint, ist bloß der
                      Engpaß der Disziplin, durch den alle Musik hindurch
                      muß, die nicht dem Fluch der Kontingenz verfallen
                      will, längst nicht aber das vielgelobte Land ihrer
                      Objektivität. 
                       
                       
                      Die Unmöglichkeit gibt den Motor der lernenden
                      Anstrengung ab. 
                       
                       
                      Setzt die Zwölftontechnik einen Damm dagegen, so hat
                      sie schon genug getan, selbst wenn sie das Reich der
                      Freiheit noch nicht betritt.  
                       
                       
                      Sie degradiert das Subjekt zum Sklaven des "Materials",
                      als des leeren Inbegriffs der Regeln, in dem Augenblick,
                      in dem das Subjekt das Material sich, nämlich seiner
                      mathematischen Vernunft, vollends unterwarf. 
                       
                        
                      Mit andern Worten, am sinnlichen Phänomen der Musik,
                      wie es einzig in die konkrete Erfahrung fällt, ist
                      die objektive Vernunft des Systems nicht nachzuvollziehen. 
                       
                        
                      Musik wird sich ihrer selbst als die Erkenntnis
                      bewußt, die große Musik von je gewesen ist. 
                       
                        
                      Schönberg hat einmal gegen die animalische Wärme
                      der Musik gesprochen und gegen die Wehleidigkeit.  
                       
                        
                      Erst die letzte Phase der Musik, in der gleichsam
                      abgeschnitten und über den Abgrund des Verstummens
                      hinweg das Subjekt durch die vollkommene
                      Entäußerung seiner Sprache gerade sich
                      mitteilt, rechtfertigt jene Kälte, die als mechanisch
                      geschlossenes Funktionieren bloß zum Verderben
                      taugte. 
                       
                       
                      Als Tendenz zur Dissoziation aber hat die
                      Vergleichgültigung des Materials seit Beginn der
                      Zwölftontechnik sich fühlbar gemacht. 
                       
                        
                      Seit es Zwölftontechnik gibt, gibt es eine lange
                      Reihe von »Nebenwerken«, Bearbeitungen,
                      Stücken, die auf die Zwölftontechnik verzichten,
                      oder solchen, die sie in den Dienst von Zwecken stellen
                      und gleichsam fungibel machen. 
                       
                       
                      Es ist Grund zur Annahme, daß Schönberg sein
                      ganzes Leben lang an Häresien gegen den "Stil" seine
                      Freude hatte, dessen Unerbittlichkeit von ihm selber
                      kommt. 
                       
                        
                      Es ist kaum zufällig, daß all den späten
                      Nebenwerken eines gemeinsam ist: größere
                      Konzilianz dem Publikum gegenüber. 
                       
                        
                      Die unerbittliche Musik vertritt die gesellschaftliche
                      Wahrheit gegen die Gesellschaft. Die konziliante erkennt
                      das Recht auf Musik an, das die Gesellschaft auch als
                      falsche trotz allem noch besitzt, so wie sie auch als
                      falsche sich reproduziert und damit objektiv Elemente
                      ihrer eigenen Wahrheit beistellt durch ihr Überleben. 
                       
                       
                      Als Repräsentant der vorgeschrittensten
                      ästhetischen Erkenntnis rührt Schönberg an
                      deren Grenze: daß nämlich das Recht ihrer
                      Wahrheit das Recht, welches noch dem schlechten
                      Bedürfnis innewohnt, niederschlägt. 
                       
                        
                      Auch die Tonalität fügt sich der totalen
                      Konstruktion, und für den letzten Schönberg ist
                      es nicht durchaus entscheidend mehr, womit er komponiert. 
                       
                       
                      Wem einmal die Verfahrungsweise alles bedeutet und der
                      Stoff nichts, vermag auch dessen sich zu bedienen, was
                      verging und was darum selbst dem gefesselten
                      Bewußtsein der Konsumenten offen ist. 
                       
                         
                      In nichts vielleicht unterscheidet Schönberg so
                      gründlich sich von allen anderen Komponisten wie in
                      der Fähigkeit, stets und stets wieder, mit jedem
                      Umschlag seiner Verfahrungsweise, abzuwerfen und zu
                      verneinen, was er vorher besessen hat. 
                       
                        
                      Die Rebellion gegen den Besitzcharakter der Erfahrung ist
                      unter den tiefsten Impulsen seines Expressionismus zu
                      vermuten. 
                       
                        
                      Die Spontaneität der musikalischen Anschauung
                      verdrängt alles Vorgegebene, weist fort, was immer
                      man gelernt hat, und läßt allein den Zwang der
                      Imagination gelten. 
                       
                        
                      Als Künstler gewinnt er den Menschen die Freiheit von
                      der Kunst wieder. 
                       
                       
                      Der dialektische Komponist gebietet der Dialektik Halt. 
                       
                        
                      Durch Kunstfeindschaft nähert das Kunstwerk sich der
                      Erkenntnis. 
                       
                        
                      Das geschlossene Kunstwerk erkannte nicht, sondern
                      ließ in sich Erkenntnis verschwinden.  
                      Es machte sich zum Gegenstand bloßer "Anschauung"
                      und verhüllte alle die Brüche, durch welche
                      Denken der unmittelbaren Gegebenheit des ästhetischen
                      Objekts entweichen könnte. 
                       
                        
                      Damit begab das traditionelle Kunstwerk selber sich des
                      Denkens, der verbindlichen Beziehung auf das, was es
                      selber nicht ist. 
                       
                        
                      Erst das zerrüttete Kunstwerk gibt mit seiner
                      Geschlossenheit die Anschaulichkeit preis und den Schein
                      mit dieser. 
                       
                        
                      Schon die traditionelle Kunst erkennt um so mehr, je
                      tiefer sie die Widersprüche ihrer eigenen Materie
                      ausprägt und damit Zeugnis ablegt von den
                      Widersprüchen der Welt, in der sie steht. 
                       
                        
                      Im Akt der Erkenntnis, den Kunst vollzieht, vertritt ihre
                      Form Kritik am Widerspruch dadurch, daß sie auf die
                      Möglichkeit seiner Versöhnung weist und damit
                      auf das Kontingente, Überwindbare, Nichtabsolute am
                      Widerspruch. 
                       
                        
                      Ihr Erkenntnischarakter wird aber in dem Augenblick
                      radikal, in dem sie sich nicht mehr dabei bescheidet. Das
                      ist die Schwelle der neuen Kunst. So tief faßt diese
                      die eigenen Widersprüche, daß sie nicht mehr
                      sich schlichten lassen. 
                       
                        
                      Die neue Kunst läßt den Widerspruch stehen und
                      legt das kahle Urgestein ihrer Urteilskategorien - der
                      Form - frei. Sie wirft die Würde des Richters von
                      sich und tritt in den Stand der Klage zurück, die
                      einzig von der Wirklichkeit versöhnt werden kann. 
                       
                        
                      Erst im fragmentarischen, seiner selbst
                      entäußerten Werk wird der kritische Gehalt
                      frei. 
                       
                        
                      Entweichend überläßt das Subjekt den
                      Hohlraum des Werks dem gesellschaftlich Möglichen. 
                       
                         
                      Denn was den "Sinn" von Musik, auch der freien
                      Atonalität, ausmacht, ist nichts anderes als der
                      Zusammenhang. 
                       
                        
                      Schönberg ist so weit gegangen, die Kompositionslehre
                      geradewegs als Lehre vom musikalischen Zusammenhang zu
                      definieren, und alles, was in Musik mit Grund sinnvoll
                      genannt werden kann, hat Anspruch darauf, weil es als
                      Einzelheit über sich hinausgeht und auf das Ganze
                      sich bezieht, so wie umgekehrt das Ganze die bestimmte
                      Forderung nach diesem Einzelnen in sich schließt. 
                       
                        
                      Solches Hinausweisen der ästhetischen Teilmomente
                      über sich selber, während sie zugleich
                      gänzlich im Raum des Kunstwerks verbleiben, wird als
                      Sinn des Kunstwerks empfunden. 
                       
                        
                      Es ist die Rebellion der Musik gegen ihren Sinn. 
                       
                        
                      Der Zusammenhang in diesen Werken ist die Negation des
                      Zusammenhangs, und ihr Triumph ist darin gelegen,
                      daß Musik sich als Widerpart der Wortsprache
                      erweist, indem sie gerade als sinnlose zu reden vermag,
                      während alle geschlossenen musikalischen Kunstwerke
                      im Zeichen der Pseudomorphose mit der Wortsprache stehen. 
                       
                        
                      Die Emanzipation der Musik heute ist gleichbedeutend mit
                      ihrer Emanzipation von der Wortsprache, und sie ist es,
                      die in der Zerstörung des "Sinnes" wetterleuchtet. 
                       
                        
                      Was in Wahrheit statthat, ist die Dissoziation von Sinn
                      und Ausdruck. 
                       
                        
                      Musik und Weinen öffnen die Lippen und geben den
                      angehaltenen Menschen los. 
                       
                        
                      Der Mensch, der sich verströmen läßt im
                      Weinen und einer Musik, die in nichts mehr ihm gleich ist,
                      läßt zugleich den Strom dessen in sich
                      zurückfluten, was nicht er selber ist und was hinter
                      dem Damm der Dingwelt gestaut war. 
                       
                        
                      In der Potentialität der letzten Phase der Musik
                      meldet sich ein Wechsel ihres Standorts an. Sie ist nicht
                      länger Aussage und Abbild eines Inwendigen, sondern
                      ein Verhalten zur Realität, die sie erkennt, indem
                      sie nicht länger im Bilde sie schlichtet. 
                       
                        
                      Die Kunstwerke sind wie alle Niederschläge des
                      objektiven Geistes die Sache selbst. 
                       
                        
                      Man darf es als das innerste Anliegen der Werke vermuten,
                      eben der Dialektik sich zu entziehen, der sie gehorchen. 
                       
                        
                      Die Unmenschlichkeit der Kunst muß die der Welt
                      überbieten um des Menschlichen willen. 
                       
                        
                      Darin, für das Niegewesene immer wieder Schemata des
                      Bekannten zu entwerfen, liegt der ganze Ernst den
                      künstlerischen Technik. 
                       
                        
                      Alle Musik bis heute mußte für den Klang der
                      kollektiven Verbindlichkeit mit dem Gewaltakt gegen das
                      Subjekt, mit der Inthronisierung eines Mechanischen als
                      Autorität zahlen. 
                       
                       
                      Musik kennt nur um so viel Entwicklung, wie sie ein
                      Festes, geronnenes kennt; 
                       
                       
                      Subjektivierung und Vergegenständlichung von Musik
                      sind das Gleiche.  
                       
                        
                      Das Amorphe hat nichts von Freiheit, sondern ähnelt
                      dem Zwangshaften bloßer Natur sich an: nichts
                      starrer als der "Entstehungsvorgang". 
                       
                       
                      Das Paradoxon löst sich historisch. 
                       
                        
                      Musik verspricht, indem sie alles Gewicht auf ihre
                      bloße Existenz legt und den Anteil des Subjekts
                      unter ihrer emphatischen Stummheit versteckt, dem Subjekt
                      den ontologischen Halt, den es durch die gleiche
                      Entfremdung verlor, welche die Musik als Stilprinzip
                      wählt. 
                       
                        
                      Schon in den früheren Balletten Strawinskys fehlt es
                      nicht an Passagen, wo die »Melodie« in der
                      Musik ausgespart ist, um in der wahren Hauptstimme, der
                      Körperbewegung auf der Szene, zu erscheinen. 
                       
                       
                      Das kritische Verhältnis zum Ausdruck ist aller
                      verantwortlichen Musik heute gemein. 
                       
                        
                      Nur was den metaphysischen Anspruch von Unendlichkeit
                      erhebt, sucht eben damit den Charakter des Gemachten als
                      beschränkend aufzuheben und als Absolutes sich zu
                      setzen. 
                       
                        
                      Aber die deutsche Ideologie gebietet, eben dieses Moment
                      zu verdecken: gerade die Herrschaft des Künstlers
                      über die Natur soll selber als Natur erscheinen. 
                       
                        
                      Neben der totalen Rationalisierung des Materials in der
                      Zwölftontechnik läuft ein Kinderglaube an den
                      Genius, der schließlich in skurrilen
                      Prioritätsstreitigkeiten, possessiven Ansprüchen
                      auf Originalität kulminiert. 
                       
                        
                      Indem das artifizielle Moment der Musik, das "Machen",
                      seiner selbst bewußt wird und sich einbekennt,
                      verliert es den Stachel der Lüge, reiner Seelenlaut,
                      primär, unbedingt zu sein. 
                       
                        
                      Die Musik über Musik gibt zu verstehen, daß sie
                      kein in sich erfüllter Mikrokosmos, sondern die
                      Reflexion des Zerbrochenen und Entleerten sei. 
                       
                        
                      Wie ein Kind Spielzeug demontiert und dann mangelhaft
                      wieder zusammensetzt, so benimmt die infantilistische
                      Musik sich zu den Modellen. 
                       
                        
                      Erinnerungstrümmer werden aneinandergereiht, nicht
                      musikalisch unmittelbares Material aus der eigenen
                      Triebkraft entfaltet. 
                       
                        
                      Die Komposition verwirklicht sich nicht durch Entwicklung,
                      sondern vermöge der Risse, welche sie durchfurchen. 
                       
                        
                      Damit aber dissoziiert sich das musikalische Zeitkontinuum
                      selber. 
                       
                        
                      Das Gehör muß sich umschulen, um Debussy
                      richtig wahrzunehmen, nicht als einen Prozeß mit
                      Stauung und Auslösung, sondern als ein Nebeneinander
                      von Farben und Flächen, wie auf einem Bild. 
                       
                        
                      Die Sukzession exponiert bloß, was dem Sinne nach
                      simultan ist: so wandert der Blick über die Leinwand. 
                       
                        
                      Er opfert den Schein von Authentizität als
                      unvereinbar mit dem Stand jenes Bewußtseins, das von
                      der liberalen Ordnung so weit zur Individuation
                      vorgetrieben ward, bis es die Ordnung negiert, die es
                      dahin brachte. 
                       
                        
                      Stilwille ersetzt den Stil und sabotiert ihn damit.  
                       
                        
                      Keine Objektivität dessen, was das Gebilde von sich
                      aus will, wohnt dem Objektivismus inne. 
                       
                        
                      Ästhetische Authentizität ist gesellschaftlich
                      notwendiger Schein: kein Kunstwerk kann in einer auf Macht
                      gegründeten Gesellschaft gedeihen, ohne auf die
                      eigene Macht zu pochen, aber damit gerät es in
                      Konflikt mit seiner Wahrheit, mit der Statthalterschaft
                      für eine kommende Gesellschaft, die Macht nicht mehr
                      kennt und ihrer nicht mehr bedarf. 
                       
                        
                      Das Echo des Uralten, die Erinnerung an die Vorwelt, von
                      der aller ästhetische Anspruch auf Authentizität
                      lebt, ist die Spur des perpetuierten Unrechts, das sie
                      zugleich im Gedanken aufhebt, aber dem sie doch auch all
                      ihre Allgemeinheit und Verbindlichkeit bis heute einzig
                      verdankt. 
                       
                        
                      Vielleicht wäre authentisch erst die Kunst, die der
                      Idee von Authentizität selber, des so und nicht
                      anders Seins, sich entledigt hätte. 
                       
                       
                         
                       
                       
                       
                       
                       
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