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Burkhard Schlothauer

MUSIK - ZEIT - LEBEN - RAUM
(in gekürzter Form erschienen in Positionen 2006)
 

‚Klangraum’ im ‚Kunstraum Düsseldorf’

‚Klangraum’ ist das Musikveranstaltungsprogramm von Antoine Beuger im ‚Kunstraum Düsseldorf’. Diese städtische Galerie ist im Erdgeschoß der ehemaligen Maschinenfabrik ‚Jagenberg’ in der Himmelgeister Straße ansässig, einem weiß gekachelten vierstöckigen Fabrikgebäude aus der Gründerzeit, das heute Ateliers und Künstlerwohnungen, ein Cafe, einen Veranstaltungsort für Jazzkonzerte (Alte Schmiede) und verschiedene Ämter beherbergt. Kunstraum, ein L-förmiger, etwa 5 m hoher Raum, ca. 400 m² groß. Loftatmosphäre, weiße Wände, grauer Zementboden, wenig Wand, der Raum wird durch Fenster dominiert, große bodentiefe zum Hof und kleinere zum rückwärtigen Außenraum, wodurch sich eine offene und transparente Atmosphäre ergibt - auch die Geräusche der hinter dem Gebäude spielenden Kinder und des allgegenwärtigen Straßenverkehrs sind zu hören. Ein metamorphosierter Raum, gewandelt von einer Produktionshalle - einem Arbeits- und Zweckraum, gefüllt mit Maschinen und Menschen, aus dem die Laute des Arbeitens nach außen dringen - zum leeren Raum für die Kunst, zu einem Raum in dem das Außen klingt, der von Außen einzusehen, offen und durchlässig ist. Keineswegs ein ‚idealer’ Raum, weder für Konzerte noch für bildende Kunst. Ein klarer einfacher Raum, akustisch einer kleineren Kirche vergleichbar. Ein schöner schlichter Ort, der aufgrund seines Grundrisses und seiner akustischen Gegebenheiten spezielle Anforderungen an die Veranstalter und Aussteller stellt, der als Ort Berücksichtigung fordert, in die Konzeption eines Ereignisses einbezogen werden muss, eben der Ort, an dem sich mit dem ‚Klangraum’ eine Kultur der Besinnung und des Innehaltens präsentiert.

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Ausstellungsperformance

Am I really here or is it only art?[1]
Der Maler, Installations- und Performancekünstler, Cellist und Komponist Marcus Kaiser (*1967) veranstaltete von 3.8.2003 bis zum 23.8.2003 sein ‚OPERNFRAKTAL 21 TAGE’ im Kunstraum. Kaiser, dessen gesamtes Oeuvre eine komplizierte und tiefsinnige Verschränkung der verschiedenen Kunstgattungen, in denen er zu Hause ist, darstellt, und dessen Lebensort auch Atelier und Veranstaltungsraum für die von ihm initiierte Reihe ‚Kaiserwellen’ ist,  nannte viele seiner früheren akustischen Arbeiten, ‚Klanginstallation mit Instrumenten’. Häufig spielt bei diesen Ereignissen die Tonaufnahme einer festgelegten musikalischen Aktion eine Rolle, die dann bei späteren Wiederholungen der musikalischen Aktion am selben Ort, oder je nach Konzept auch einem anderen, wieder eingespielt und erneut in Kombination mit der gegenwärtigen Aktion aufgenommen wird. Es öffnet sich somit ein mehrdimensionaler Zeitraum im Klangraum, das was gestern, vorgestern war, hat seine Spuren hinterlassen und wird im Jetzt verknüpft und erinnert, umso schemenhafter, je weiter es zurückliegt. Der klingende Raum, die Aufnahme und Abspieltechnik verändern, filtern, verrauschen und fügen zusammen, erzeugen eine Projektion der Orte und Zeiten des Geschehens in einer eigenartig diskontinuierlich kreisenden Weise.
Da die Projektbeschreibung von ‚OPERNFRAKTAL 21 TAGE’ sehr klar formuliert und aussagekräftig ist, möchte ich sie hier weitgehend unverändert wiedergeben:
„Im gegebenen Zeitraum wird dieser Ort von vier Personen bewohnt, die gegebene Aufgaben übernehmen (Zeichner / Computer-Tontechniker / Instrumentalist / Koch / Sprecher...) und auch ihren privaten Tätigkeiten nachgehen.
Von den konkreten Klängen des Ortes, der Umgebung und der Menschen wird alle 5 Minuten 1 Minute aufgezeichnet und am nächsten Tag zur selben Zeit wieder abgespielt (und wieder aufgezeichnet...). So entsteht im Laufe der Zeit eine computergesteuerte wuchernde Klangmassierung (abgewechselt mit Stille), die sich mit den real vorhandenen Klängen vermischt, bzw. sich ihnen anschmiegt. Jeden Tag gibt es zu bestimmten Zeiten (6 Uhr / 12 Uhr / 18 Uhr / 24 Uhr) instrumentale bzw. mit der Stimme artikulierte Zwischenspiele (als "Konzert im Konzert"), die sich zunehmend in die durchgehende Struktur der konkreten Klänge einweben. So entsteht nach und nach eine "Oper", die keine Oper ist, eine nichtinszenierte Inszenierung, eine reale Situation, die nicht realistisch ist, ein Vivarium.
"OPERNFRAKTAL" ist ein Zustand eingebunden in Architektur/Installation und Tätigkeit/Handlung und Klang/Dauer im Sinne von "Chronotektur"; wie ein Aquarium ausschnitthaft ungenügend ein Stück Amazonas oder ein Stück Tanganjikasee nachbildet und den Fischen einen wirklichen Lebensraum bietet. Ausgehend von einigen Grundelementen ist die Situation offen und kann sich verschiedenen Gegebenheiten anpassen...“
Im einrichtungsfreien Kunstraum markierten vier offene ‚Metallwinkelkuben’ mit den Maßen 1,50*2,80*1,50 die vier Funktionsräume: ‚Küche/Bar’, ‚Kommunikation/Modell’ (in diesem Quader befand sich ein auf die Aktion bezogenes Architekturmodell), ‚Elektronik/Arbeit’. Im vierten, ‚Intuition/Klang’ genannt, nahm der Instrumentalist zur Durchführung der alle sechs Stunden stattfindenden Konzerte Platz. Zusätzlich gab es noch zwei Holzboxen von 2m*2m*2m aus OSB- Platten als nicht einsehbare Schlafwürfel und zwei große Zeichnungen im selben Maß, wie die Frontflächen der Aktionsquader (1,50*2,80), die ganzflächig wuchernde Urwaldvegetation zeigten. Aus Holz speziell angefertigte Fotoboxen im Format DIN A4 waren zur Anfang der Aktion als Leergut skulptural übereinander gestapelt, wurden Tag für Tag mit den abgezogenen Digitalfotos des vorherigen Tages gefüllt und dann auf dem Boden zur Ansicht aufgestellt, überwucherten also den Boden mehr und mehr. In Marcus Kaisers Kunstauffassung spielt die Verschränkung von Zeit und Raum, für die er den Begriff „Chronotektur“ geschaffen hat, eine bedeutende Rolle. Normale Musik versuche, so Kaiser, Zeit zu eliminieren und Langeweile als Bewusstwerdung vom Vergehen der Zeit zu vermeiden. Chronotektur versuche hingegen Zeit und Raum ineinander greifend zu gestalten. Bilder würden eher Zeit repräsentieren als Musik, Musik sei im Normalfall eher statisch und bewegungslos wahrzunehmen, das Ohr ein passives Organ, das Auge im Gegensatz dazu wesentlich freier und beweglicher, es wandere über das Bild, es nehme sich selbst bewegend, somit Zeit verbrauchend wahr.
21 Tage lebten, arbeiteten und performten die vier Mitwirkenden im Kunstraum, die Grenzen ihrer Tätigkeiten verflossen; ihre Anwesenheit war nicht verpflichtend, immer aber war mindestens einer der Akteure anwesend. Zum Leben, Essen und zur Übernachtung im ‚Vivarium’ war das Publikum ebenfalls eingeladen. Kaiser geht es nach eigener Aussage darum, Alltäglichkeiten wie z.B. Nahrungsaufnahme und Ruhen, nicht aus dem Kunstereignis herauszudrängen. Durch die Vorgabe der Gesamtzeit der Performance war dies zwangsläufig gewährleistet, denn bei einem Event dieser Dauer muss das physische Leben und die auftretenden Probleme des Miteinanderlebens im Sinne einer kompositorischen Konzeption voll integriert sein. Denn im Gegensatz zum Konzertritual, indem der Künstler durch schwarze Einheitskleidung und Podiumsstellung entprivatisiert wird, bleibt jeder Teilnehmer des Opernfraktals in seiner personalen und physischen Beschaffenheit vollumfänglich wahrnehmbar - die Grenzen des Alltäglichen zur Kunst ist Dauerthema. „Die Binnenstruktur des Stückes ist für mich weniger interessant, als seine Peripherstruktur; ich reflektiere eher über ihre Zusammenhänge, wobei ich nicht sicher bin, ob es überhaupt einen Zusammenhang gibt.“
Durch Ritualisierung des Tagesablaufes mit Hilfe der regelmäßig stattfindenden Konzerte brach sich die immer wieder entstehende Alltagssituation und ließ die Künstlichkeit der Situation bewusst werden. Im übrigen diente diese Symmetrie aber auch der Beobachtung von Zeiterfahrung: die jeweils beinahe gleichen Zeitabschnitte von jeweils etwa 6 Stunden zwischen den Konzerten wurden von den Akteuren je nach Tageszeit und vorgenommener Aktivität vollkommen unterschiedlich wahrgenommen.
 

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[1] Laurie Anderson, zitiert nach Charles, Daniel,  S.25



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